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Jogi und die Jungspunde 29. März 2007

Posted by M@x in EM 2008.
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Es war einmal ein deutscher Nationaltrainer, der an einem Samstag freudetrunken sein Meisterstück, einen Sieg gegen Tschechien, bejubeln durfte. Doch leider währte die Freude nur kurz: In einem Anfall unglaublichster Gutmütigkeit schickte er die vielbelasteten WM- und Europapokalspieler nach Hause, setzte auf unerfahrene Jungspunde und zog sich damit den Unmut des Publikums zu. Einen nicht unerhebliche Rolle spielen in dieser Tragödie auch noch ein ehemals für Haargel werbender Nationalteam-Manager und ein greiser dänischer Nationalcoach.

Soweit die Geschichte in Kurzfassung. Sechs Debütanten durften gestern in der Duisburger Arena über den Rasen flitzen, vier Tage nach dem großen Erfolg gegen Tschechien. Letztendlich war es nur eine überalterte U21, die da gestern für die erste Niederlage der „Ära Löw“ sorgte. Dass ein solcher Tag kommen würde, war fast abzusehen: Schon Jürgen Klinsmann ging nicht gerade sparsam mit Debütanten um und hatte schnell den Ruf als risikobereiter Experimentierfreudiger weg. Hinter den Kulissen galt aber sein Co-Trainer Löw als noch radikaler, was die Verjüngungskur des Teams betraf. Der dänische Nationaltrainer Morten Olsen wetterte gegen den DFB, sich nich an Absprachen gehalten zu haben. Wie genau diese angeblichen Absprachen gelautet haben, werden wir nie erfahren. Pünktlich vor dem Anpfiff hüpfte dann Oliver Bierhoff durch das ZDF-Bild und erklärte, alle Differenzen mit Morten Olsen wären ausgeräumt. Und so verwundert es nicht, dass auch der dänische Coach im zweiten Durchgang munter mit dem Experimentieren anfing.

Schon eher ein Problem stellt für den DFB die Verpflichtung gegenüber den Fans dar. Eigentlich erwartete man schon beim Einmarsch der Teams in die Arena die ersten Pfiffe, doch hier scheinen die Beruhigungsmaßnahmen gewirkt zu haben: Es gab kostenlose Pfeifen, Fähnchen und Käppchen, dazu das Anrecht auf den Eintritt zu einem EM-Quali-Spiel. Aufgrund der schwachen Leistung gab es Mitte der zweiten Halbzeit erstmals leise Pfiffe – aber ehrlich: Wer sich eine Karte für ein Spiel in Duisburg (!) wenige Tage nach dem wichtigsten aller Qualifikationsspiele kauft, muss schon sehr naiv sein, wenn er die erste Mannschaft erwartet hat. Das es freilich zu einem solchen Debütantenwahn gekommen ist, war aber nicht abzusehen. Das führt mich schon zum Thema „Nominierung“: Kießling, Castro, Helmes, Hilbert, … sind die im Raum stehenden Namen. Speziell bei Hilbert und Helmes kamen mir leise Zweifel über die Auswahl der Spieler, aber das sollte Löw’s Sache sein. Das bockige Verhalten einiger User in diversen Internetforen kann ich nicht nachvollziehen. Exemplarisch sei hiefür diese Aussage im DF-Forum genannt: „Unglaublich, für wie wenig man heute schon Nationalspieler werden kann. Ich jedenfalls werde das Spiel nicht ansehen!“ Wie ein kleines Kind, dem man das Spielzeug wegnimmt. Hey, man ist schon für vieeeeel weniger Nationalspieler geworden, remember Zoltan Sebescen und seine fast schon legendäre 45-Minuten-Arbeitsverweigerung gegen die Niederlande, die den Anfang vom Ende seiner kurzen Karriere darstellte. Man sollte bei der Beurteilung des gestrigen Spiels auf dem Boden der Tatsachen bleiben, es war ein Freundschaftsspiel, es ging um überhaupt nichts. Mir ist übrigens ein solches Spiel mit vielen Debütanten lieber als das ständige Einbringen neuer Namen in wichtigen Qualifikationsspielen.

Zum Spiel: Das gesamte Match wurde von Dänemark kontrolliert. Dem deutschen Spiel fehlte es vom Beginn an Ordnung und in gewissem Rahmen auch an Qualität. Dass die unsere U21 nicht das Nonplusultra ist, dürfte jedem klar sein. Wenn sich dazu dann Friedrich, Schlaudraff, Hitzlsperger, Kuranyi, Jansen und Fritz gesellen, ist es eben ein Zeichen, dass diese sechs Spieler nicht diejenigen sind, die alle mitreißen können. Eine detaillierte Einzelanalyse spare ich mir an dieser Stelle, möchte lieber einige generelle Eindrücke festhalten:

Torwart Robert Enke glänzte gleich in den ersten zwei Minuten mit seinen hervorragenden Reflexen und musste einmal in bester Lehmann-Manier herauslaufend ein Gegentor verhindern. Die Strafraumbeherrschung des Hannoveraners ist exzellent. Für mich stellt er die beste Alternative zu Jens Lehmann dar, das liegt schon in der ähnlichen Spielweise der Beiden begründet: Sowohl Enke als auch Lehmann sind spielende, agierende Torhüter, die bei Angriffen auch mal einen Libero geben und schnell Gegenangriffe einleiten. Dieses System, das auch Löw bevorzugt, hat sich bei WM und EM-Quali bewährt, das deutsche Team ist darauf eingespielt. Andere Kandidaten wie Weidenfeller, Wiese, Neuer, Adler, Hildebrand usw. sind eher Torhüter, die sich durch ihre starken Reflexe auf der Linie auszeichnen.

Völlig umgestaltet war die Abwehr. Gegen Tschechien gab es eine Weltklasseleistung von Lahm, Metzelder, Mertesacker und Jansen. Diesmal war die Innenverteidigung ein großer Unsicherheitsfaktor. Manuel Friedrich fand nie zu seinem Spiel und zeigte sich sehr schwach in Kopfballduellen. Alexander Madlung agierte zwar ohne gravierende Fehler, aber die Präsenz von Mertesacker, Metzelder, aber auch Huth oder Arne Friedrich fehlt mir bei ihm. Madlung ist zwar ein solider Verteidiger, in einem wichtigen Spiel gegen Weltklasse-Stürmer würde ich ihn aber lieber nicht von Anfang an sehen. Auf der rechten Abwehrseite zeigte Clemens Fritz eine erschreckend schwache Leistung. Immer wieder rollten die dänischen Angriffe über seine rechte Abwehrseite – von der Stärke im Herbst 2006 ist er weit entfernt. Am überzeugendsten agierte noch Marcel Jansen, der wie bereits am Samstag in Prag mit seinen offensiven Vorstößen für wenige offensive Akzente sorgte, dazu auch defensiv durch eine von gestiegenen Selbstbewusstsein zeugende Körpersprache mit starkem Stellungsspiel brillierte.

Das Mittelfeld wird in dieser Zusammensetzung aller Vorraussicht nach nie wieder so zusammenspielen. Thomas Hitzlsperger war noch die erfahrenste Kraft, aber er ist kein Typ „Spielgestalter“ und hatte Probleme, seiner in diesem Spiel übertragenen Führungsrolle gerecht zu werden. Bester Mittelfeldakteur war Simon Rolfes, der nach den letzten Erfolgen im Verein seine Zweikampfstärke unter Beweis stellen konnte. Im zweiten Durchgang hatte er auch gute Tormöglichkeiten, schaltete sich mehrmals in die Offensive ein und war mit Schlaudraff eines der wenigen belebenden Elemente im deutschen Spiel. Debütant Roberto Hilbert spielte schwach, ich kann auch nicht richtig nachvollziehen, wieso er eine so große Wertschätzung bei Joachim Löw genießt. Piotr Trochowski spielte mit Licht und Schatten, aber immerhin konnte er mit guten Standardsituationen hin und wieder ein wenig Torgefahr verbreiten.

Letztendlich bleibt noch der Sturm. Kevin Kuranyi dürfte nach seinem Höhenflug gegen Tschechien wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen sein und erkannt haben, dass er noch lange nicht der Führungsspieler ist, für den er sich selber hält. Er wurde ganz klar von Jan Schlaudraff – aus meiner Sicht bester deutscher Feldspieler – in den Schatten gestellt. Dieser zeigte sich sehr spielfreudig und hatte auch die besten Tormöglichkeiten, wobei er jeweils nur knapp an Dänen-Keeper Sörensen scheiterte. Debütant Kießling kam im zweiten Durchgang für Kuranyi und fügte sich mit ordentlicher Leistung an, wenngleich er wenig zählbares zum Spiel beitragen konnte.

Bleibt als Fazit eine 0:1-Niederlage, ein verdienter Sieg für die Gäste und ein etwas angefressenes Publikum. Der zweite Anzug war es nicht, der gestern spielte, es war vielleicht der dritte oder vierte – denn eine Situation, dass so viele Stammspieler ausfallen, wird es auch beim größten Verletzungspech nie geben. Auf Einzelpositionen kann man einige Spieler ersetzen, aber mit einer gesamten Mannschaft klappt es dann doch nicht. Die nächsten Länderspiele gibt es Anfang Juni gegen San Marino und Slowakei, jeweils zu Hause – ehe man dann im August die erste Niederlage für England im neuen Wembley-Stadion folgt.